Salty Soundz Jahrescharts 2016: Jay One

2016 stand auch für mich natürlich ganz im Zeichen des „Homegrown„-Samplers. Da Eigenlob aber bekanntlich stinkt, habe ich unser Großprojekt bewusst nicht in meine Top 10 aufgenommen, denn wer uns verfolgt, der weiß, dass dieser Meilenstein der Hallenser HipHop-Geschichte sowieso völlig außer Konkurrenz läuft. Dafür gibt es zehn deutsche Rapalben, die man in diesem Jahr nicht verpasst haben sollte. Natürlich sind noch viel mehr gute Sachen veröffentlicht worden, auch in den USA, aber der Fokus auf komplette Platten war auch hier eine bewusste Entscheidung, da ich sonst irgendwann den Überblick verloren hätte und mindestens noch ein Jahr gebraucht hätte, um mich für gerade mal zehn Highlights zu entscheiden. Wer mehr hören möchte, der sollte sich sowieso einfach alle zwei Wochen unsere Sendung gönnen, denn da hört ihr ausschließlich Hits.

1. Audio88 & Yassin – Halleluja (Album)
Mit Audio88 & Yassin ging es mir ähnlich, wie vielen anderen Fans von deren Musik. Zwar hatten sie mich spätestens mit dem Hit „Sandy & Justin“ vom zweiten Herrengedeck-Album 2010 und dem Mix aus tiefschwarzem Humor und pointierter Sozialkritik, doch erst die etwas melodischere Ausrichtung des Duos auf „Normaler Samt“ im letzten Jahr brachte die Stärken dieser normalen Rapper so richtig zur Geltung. Punchlines konnten jetzt noch direkter und zielsicherer gesetzt werden und Whack MCs wurden auch mal auf Gesangshooks zersägt. Darauf ein Halleluja.

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2. Megaloh – Regenmacher (Album)
Bei der Frage nach dem kompletten MC bekam man lange Zeit nur zwei Namen als Antwort: Savas und Samy. Doch nachdem die beiden alten Herren ihren Zenit so langsam überschritten haben, ist es Zeit für einen Nachfolger. Vorhang auf für Megaloh. Keiner der aktuellen Rapper schafft es so lässig zu flowen und jeden stilsicher gepickten Beat auseinanderzunehmen und gleichzeitig soviel wichtigen und tiefgründigen Inhalt zu transportieren wie der Berliner. Und das sogar auf Albumlänge, wie er auf „Regenmacher“ eindrucksvoll beweist. Nebenbei ist Mega auch noch ein echtes Live-Monster, der im Herbst das Täubchenthal zum kochen gebracht hat und damit auch noch eines meiner Live-Hightlights 2016 gesetzt hat.

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3. Bonez MC & Raf Camora – Palmen aus Plastik (Album)
Dass Verkaufszahlen nichts über die Qualität von Musik aussagt ist eine altbekannte HipHop-Weisheit. Doch auf Bonez MC und Raf Camora trifft sie definitiv zu. Der 187-Hype war 2016 real und mit „Palmen aus Plastik“ auf seinem absoluten Höhepunkt angekommen. Bemerkenswert dabei: Für beide Rapper war es bereits das zweite Release des Jahres. Während mir sowohl „Ghost“ von Raf, als auch „High & Hungrig 2“ nur mäßig überzeugen konnten, machte das Duo mit seinem Mix aus Dancehall und Rap alles richtig. Anfangs war ich noch skeptisch, war doch meine Gunst für Raf seit dem ersten 3.0-Album stetig gesunken und hatte ich mir außerdem eher ein Dancehall-Soloalbum von Bonez gewünscht. Zum Glück wurde ich eines besseren belehrt. Und wie man an den zahlreichen Rekorden sieht, die das Album aufgestellt hat: Gute Musik setzt sich am Ende eben doch durch.

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4. Karate Andi – Turbo (Album)
Lange Zeit war „Pilsator Platin“ für mich das letzte wirklich überraschende Debütalbum eines deutschen Rappers. Ein Signing bei Selfmade Records und knapp drei Jahre später war meine Erwartungshaltung dementsprechend riesig. Und zugegebenermaßen brauchte ich ein wenig Anlaufzeit, aber schlussendlich lieferte mir „Turbo“ genau den Karate Andi, den ich erwartet hatte: Arrogante Punchlines im Assi-Gewand auf dröhnenden Synthiebeats. Und was viele zwischen all den Suffgeschichten gerne mal vergessen: Andi ist auch technisch einer der besten Rapper des Landes.

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5. Goldroger – Avrakadavra (Album)
Auch wenn dieses Album stilistisch am ehesten aus dieser Liste hier ausbricht, hat mich Goldroger mit seinem zweiten Album im zweiten Jahr in Folge vollends überzeugt und in meine Top 10 geschafft. Das ist seinem Songwriting, aber auch dem einheitlichen Soundkonzept von Dienst&Schulter zu verdanken, der das Album zu einem homogenen Ganzen formt. Der Dortmunder hat es geschafft, eine Platte zu kreieren, die in sich zusammenhängend funktioniert und ohne Ausfall 13 Highlights aneinanderreiht. Melancholische und persönliche Platten können mich nur sehr selten wirklich restlos überzeugen. „Avrakadavra“ hat es definitiv geschafft.

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6. Trettmann – Kitschkrieg 1 – 3 + Features (Künstler)
Selbst wenn man es wollte, kam man in diesem Jahr nicht um Trettmann herum. Sowohl mit seinen drei „Kitschkrieg„-EP, als auch mit seinen Features mit u.a. Megaloh, Haiyti, Fruchtmax & Hugo Nameless und Bonez MC & Raf Camora zeigte der gebürtige Chemnitzer der Szene in diesem Jahr, wo die Trends gesetzt werden. Dabei musste der ehemalige Ronny und das Produzententeam Kitschkrieg seinem ureigenen Dancehall-Style nur ein paar flächige Sounds aus der Cloud hinzufügen und schon stand der Future-Sound, der auch 2017 großen Eindruck machen wird.

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7. Hiob & Pierre Sonality – Die Zampanos (Album)
Obwohl Hiob schon lange ein Untergrundheld und Kritikerliebling ist, halte ich den Berliner noch immer für einen der unterschätztesten Rapper und Produzenten Deutschlands und vor allem seinen Zweitling „Drama Konkret“ für einen ignorierten Klassiker. Das dieser sehr eigensinnige Typ auch im Duo funktionieren kann, beweist er nicht nur regelmäßig mit seinem Bruder im Geiste Morlockk Dilemma, sondern jüngst auch mit Chef-Funkverteidiger Pierre Sonality, der von Release zu Release immer besser zu werden scheint. Ertrunken in Whiskey und Bier entstand so ein Soundtrack auf das gute Leben, der vor allem im Hit „Über uns“ mit Hook-Gott Sonne Ra und trotz des bereits hochwertigen Backkatalogs der beiden Protagonisten ein weiteres Highlight in deren Diskografie setzt.

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8. Prezident – Limbus (Album)
Als jemand, der mit Rappern wie Hollywood Hank, JAW und Favorite aufgewachsen ist, darf ein wenig Misanthropie in meiner Playlist nicht fehlen. Auch wenn man Audio88 & Yassin und Karate Andi sicher ebenfalls in diese Ecke stellen könnte, bekam ich meine Dosis Menschenfeindlichkeit 2016 vor allem von Prezident. Mit seinem „Limbus„-Album schaffte er es, seinen Kritikerliebling „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ und die tausend anderen Releases, die in der Zwischenzeit veröffentlicht wurden, nochmal zu übertrumpfen. Auf staubtrockenen Beats flowt sich der Wuppertaler durch abstrakte Bilder und konkrete Szene- und Sozialkritik, die dort ansetzt, wo andere schon längst aufgegeben haben.

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9. Hanybal – Haramstufe Rot (Album)
Hanybal hatte bis zu diesem Jahr keinen guten Stand bei mir. Schon als Teil des Duos 439 auf Azads Label Bozz Music hielt ich ihn für völlig überschätzt. Das änderte sich auch nicht mit dem Signing bei den Azzlackz und seinem Solodebüt „Weg von der Fahrbahn„. Zu eindimensional und standard kam mir der Frankfurter vor. Umso überraschter war ich von den ersten Videoauskopplungen von „Haramstufe Rot„. Hany machte kräftig Alarm und schießt völlig kompromisslos gegen die ganze Welt und deine Mutter. Der Rapper bringt zusammen, was zusammen gehört: Roughen Straßenslang mit dreckigen, aber tief wummernden Beats. So veröffentlicht Hanybal das beste klassische Gangsterrap-Album des Jahres.

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10. Coup – Der Holland Job (Album)
Trotz der verkackten Promophase inklusive eines mit viel TamTam angekündigten und dennoch enttäuschenden Musikvideos auf Actionfilm-Länge ist „Der Holland Job“ von Haftbefehl und Xatar am Ende doch zu meiner Zufriedenheit verlaufen. Nachdem meine Erwartungen zwischen Ankündigung und endgültigem Release ins Bodenlose gesunken waren, ging die Kurve nach dem ersten Hören wieder steil bergauf. Denn auf seinem Album hat sich das Duo aufs Wesentliche besonnen und seine jeweiligen Stärken gebündelt. Schnell war mir klar: Nicht das Video war der Actionfilm, sondern die Platte. Und so konnten sich Offenbach und Bonn doch noch mit einem Coup rehabilitieren, der sicherlich nicht in die Verbrechergeschichte eingehen wird, aber genügend Stoff bis zu den nächsten Soloreleases der beiden Rapper bietet.

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