Jahresrückblick 2017: Jay One

Da wir uns in diesem Jahr darauf einigten, uns nicht nur auf eine Top 10 zu beschränken, sondern die Bestenlisten etwas differenzierter zu gestalten, fiel es mir noch schwerer, mich jeweils auf eine Top 5 festzulegen. Damit möglichst viele Künstler vorgestellt werden können, die es verdient haben, wird hier keine Veröffentlichung doppelt genannt. Ihr werdet also unter den besten Songs keinen Track finden, der auf einem der fünf besten Alben vertreten ist, obwohl das vielleicht gerechtfertigt wäre. So soll die höchstmögliche Vielfalt geboten werden, die es in der Szene derzeit nun mal gibt und die auch meinen Geschmack bestmöglich widerspiegelt.

Beste deutschsprachige Alben 2017

1. Trettmann – #DIY // Die Einigkeit, die bei diesem Album besteht, ist fast schon beängstigend. In allen Jahresbestenlisten taucht Trettmann ganz vorne auf. Und auch ich konnte mich diesem hypnotischen Kitschkrieg-Sound nicht entziehen, der trotz exzessivem Autotune-Gebrauch und der derzeitigen Überschwemmung des Marktes mit Trap- und Dancehallanleihen völlig einzigartig ist. Mit seinen 43 Jahren ist es dem gebürtigen Chemnitzer gelungen, ein echtes Grown Man Rap Album aus tiefster Seele zu kreieren.

2. Kalim – Thronfolger // Nach seinem seinem Album „Odysee 579“ kündigte Kalim eigentlich die Rückkehr zu seinen Boombap-Wurzeln an und viele Fans waren erleichtert. Heute kann man sagen: Zum Glück hat er es nicht gemacht. Denn dann wäre nicht diese elitäre Platte entstanden. Auf „Thronfolger“ hat der Hamburger den Sound des Vorgängers konsequent weiterentwickelt und perfektioniert. Auf tief brummenden Basslines und 808s erzählt Kalim mit seinem prägnanten Organ von den Kehrseiten der Hansestadt.

3. Zugezogen Maskulin – Alle gegen Alle // Zugezogen Maskulin rufen die Anarchie aus und wir sollten alle folgen, denn das Duo reiht nicht nur Phrasen aneinander, sondern verbindet Gesellschaftskritik, Humor und HipHop-Insider so gekonnt wie niemand sonst. Ansonsten bleibt alles beim Alten oder wird noch weiter perfektioniert: grims hyperaktiver Flow ergänzt sich hervorragend mit Testos unaufgeregtem Bassorgan und die Produktionen von Silkersoft sind sowieso über jeden Zweifel erhaben und suchen nicht nur in der vermeintlich linken Rap-Szene ihresgleichen.

4. Dissythekid – Fynn // Die 1-Mann-Armee Dissythekid hat für seine EP nicht nur Lyrics und Beats gebaut, sondern auch noch einen kompletten Kurzfilm gedreht, der aufgrund des leider noch überschaubaren Bekanntheitsgrades etwas untergegangen ist. Doch nicht nur der sehenswerte Streifen ist eine Empfehlung wert, auch die Songs gehen unter die Haut. Besonders der druckvoll produzierte Titelsong ist eine absolute Empfehlung, aber auch sonst geht das Konzept der zwei Alter Egos des Erfurters hervorragend auf.

5. Dexter – Haare Nice, Socken Fly // Wer hätte das gedacht: Dexter ist nicht nur einer der besten Produzenten Deutschlands, sondern kann auch mehr als passabel rappen. Ok, da gab es vor knapp drei Jahren bereits das Album „Palmen & Freunde“, das allerdings eher nebenbei entstand und daher einer Compilation glich. Für „Haare Nice, Socken Fly“ setzte sich der Stuttgarter erstmals bewusst an eine Rapplatte. Dabei entstand ein Album, das klingt wie seine Beats: Unverkrampft, lässig und verdammt fresh.

Beste deutschsprachige Songs 2017

1. Megaloh & Trettmann – Anorak // Mit diesem Song begann der Siegeszug von Trettmann im Jahr 2017. Auch wenn mich die „Herb & Mango“-EP schlussendlich noch nicht so überzeugte wie das spätere Album, spielen die beiden Rapper auf „Anorak“ gekonnt ihr Stärken aus.

2. Shacke One – Kings aus Prinzip // Spätestens mit seinem ersten Auftritt in der Leipziger DHF hatte mich Shacke One als Fan gewonnen. Dementsprechend gespannt war ich auf sein neues Album „Bossen & Bumsen“. Auf starken Beats mit 90s-Einschlag von Achim Funk reiht der Nordberliner atemlose Punchlines von oberster Güteklasse aneinander. Höhepunkt ist eindeutig der Opener „Kings aus Prinzip“ mit dem Passwort, um sich in deine Mutter einzuloggen.

3. Birte MC & Mendez feat. Fakkt – Sterni wie Champus // Der Juni sollte brennen und die „Weihwasser“-LP der Hallenser Birte MC & Mendez erscheinen. Bis heute ist davon leider nichts zu hören. Einzige Ausnahme: Die gemeinsame Videosingle mit Fakkt, die in meinen Augen der unterschätzteste Hit des Jahres ist.

4. DCVDNS – Neuer alter Savas // Mit einem aufwendig produzierten Video und einem Referenzen-Massaker meldete sich DCVDNS nach drei Jahren Abwesenheit mit seinem Majordebüt zurück. Das Album war schlussendlich leider nicht mehr als solide, doch „Neuer Alter Savas“ ist bis heute ein Hit.

5. Disarstar – Death Metal // Für viele Fans von Disarstar war die erste Single zum neuen Album „Minus x Minus = Plus“ eine kleine Überraschung. Der sonst so sozialkritische Hamburger lieferte einen lupenreinen Battletrack. Doch das Brett von einem Beat überzeugte mich von Anfang an und zeigte mir einen hungrigen Disarstar, der Ansagen machen und lyrische Schellen verteilen kann, ohne seine Integrität und Überzeugung aufzugeben.

Beste internationale Alben 2017

1. Kendrick Lamar – DAMN. // In Jahr sechs nach seinem Durchbruch mit „Section.80“ hat Kendrick Lamar bereits seinen vierten Klassiker veröffentlicht. Ähnlich wie in Deutschland bei Trettmann, konnte man sich in den USA eigentlich durchgängig auf K. Dot einigen. Nicht umsonst hat der Mann aus Compton trotz seiner tiefgründigen und sozialkritischen Texte einen so durchschlagenden Platin-Erfolg. Sehr zu empfehlen sind auch die aufwendigen und kreativen Videos zur Platte, allen voran „HUMBLE.“.

2. Tyler The Creator – Flower Boy // Auf seinem inzwischen fünften Album, das ursprünglich mal „Scum Fuck Flower Boy“ heißen sollte, schafft es Tyler The Creator erstmals, seinen lyrischen Wahnsinn und die etwas vertrackten Beats in die richtigen Bahnen zu lenken und daraus auch wirklich ein stimmiges Gesamtprodukt zu machen, das von Anfang bis Ende überzeugt.

3. Rapsody – Lailas Wisdom // Obwohl Rapsody inzwischen seit vielen Jahren am Mic steht, hat sie es erst mit dieser Platte geschafft, zählbaren Erfolg einzufahren. Obwohl der Deal mit Jay-Zs Label Roc Nation daran sicher nicht ganz unschuldig war, ist „Lailas Wisdom“ aber auch die mit Abstand ausgereifteste und beste Platte, die die Rapperin aus South Carolina bisher gemacht hat.

4. Wiki – No Mountains in Manhattan // Als Teil von Ratking hatte Wiki dem New Yorker Untergrund wieder etwas Leben eingehaucht. Mittlerweile ist er solo unterwegs und weiß seinen etwas eigenwilligen Rapstil gekonnt mit Beats zu verbinden, die sich an der klassischen Eastcoast-Schule orientieren, aber ihren eigenen Stempel aufgedrückt bekommen.

5. G-Worthy – G-Worthy // Zugegeben, ich selbst bin erst vor einigen Wochen durch einen anderen Jahresrückblick auf G-Worthy aufmerksam geworden, doch der frische Westcoast-Sound von Jay Worthy und G Perico hatte mich sofort gepackt und landet somit auch nach so kurzer Zeit zurecht unter den besten fünf Langspiel-Veröffentlichungen des Jahres 2017.

Beste internationale Songs 2017

1. Future – Mask Off // Ursprünglich gar nicht als Single für die beiden Erfolgsalben „Future“ und „HNDRX“ geplant, entwickelte sich „Mask Off“ nach Veröffentlichung der Platten zu einem Schläfer und erreichte Rekordzahlen bei den bekannten Streaming-Diensten. Die Verantwortlichen reagierten schnell und schoben noch ein Video zum Song nach, das ihn dann endgültig zum Hit avancieren ließ. Und auch mir geht das Flötensample und die prägnante Hook nicht mehr aus dem Kopf.

2. French Montana feat. Swae Lee – Unforgettable // Einer der kommerziell erfolgreichsten Songs des Jahres brauchte gefühlt eine lange Anlaufzeit, um sich auch in Deutschland wirklich durchzusetzen. Als MC Smook den Song in unsere Sendung mitbrachte, war er in den USA bereits bekannt, hierzulande kam er allerdings erst Monate später so richtig zur Geltung. Doch schon damals wurde ich diesen Ohrwurm nicht mehr los und war dann auch mehr als erstaunt, wie hoch der Track noch in den Charts steigen sollte.

3. Gucci Mane feat. Migos – I Get The Bag // Wenn es um Hits ging, kam in diesem Jahr niemand an den Migos vorbei. Das sie dann natürlich auch Trap-Pate Gucci Mane nach seinem längeren Knastaufenthalt bei der Rehabilitierung helfen, sollte also klar sein. Der nicht ganz jugendfreie Text bleibt sofort hängen und man fängt unweigerlich an, sich genauso in Zeitlupe zu bewegen, wie Gucci Mane im zugehörigen Video die Treppe runterkommt.

4. Joey Bada$$ – Devastated // Ok, eigentlich erschien die Single bereits 2016 und tauchte dementsprechend bereits in diversen Bestenlisten 2016 auf. Doch da das zugehörige Album „All-AmeriKKKan Bada$$“ erst in diesem Jahr veröffentlicht wurde, findet sich der Song in meiner Top 5 2017 und zeigt, wie man auch heute noch klassischen New York Rap gekonnt mit einer gewissen Eingängigkeit verbinden kann.

5. Miguel feat. Travis Scott – Sky Walker // Neben kommerziell erfolgreichen Größen wie Jeremih, Lloyd, The Weeknd oder Frank Ocean wird Miguel gerne mal vergessen, wenn es um die besten R’n’B-Sänger geht. Dabei hatte er mit „Sky Walker“ eine echte Feel-Good-Hymne als Single zu seinem neuen Album „War & Leisure“ veröffentlicht und mit der Unterstützung von Travis Scott den stärksten R’n’B-Song des Jahres vorgelegt.