Nach Rezept: Die Urbane. Eine HipHop-Partei

Im Februar diesen Jahres trafen sich einige HipHop-Aktivisten auf einer Jam in Berlin und gründeten die neue Partei „Die Urbane. Eine HipHop-Partei„. Letzte Woche nun hat sich in Leipzig der sächsische Ableger gegründet, durch den vielleicht auch etwas Aktivismus nach Sachsen-Anhalt überschwappen wird. Wie jede politische Partei, kommt auch eine HipHop-Partei um ein geschriebenes Parteiprogramm nicht herum. In diesem Fall ist es knapp 30 Seiten lang und in die Hauptthemen Menschenbild, Kultur, Zusammenleben, Mensch & Umwelt, Medien & Digitales, Bildung, Familie, Frieden, Lebensräume & Wohnen, Verkehr, Solidargemeinschaft, Wirtschaft vs. Mensch und Drogenpolitik untergliedert. Doch was hat HipHop mit Politik zu tun und bedeutet das jetzt, dass HipHop staatlich von oben gedroppt werden soll?

Politik ist nur ein Wort dafür, etwas zu tun, was die gesamte Gesellschaft betrifft, sie beeinflusst und hoffentlich voranbringt. Das tun wir sowieso, mit der HipHop-Kultur.

Hier ist offensichtlich nicht die Rede von kommerziellem Rap, sondern von einer Kultur, die von Werten und Respekt getragen ist, also von einem sehr grundständigen HipHop-Entwurf. Von Anfang an war HipHop eine Protestkultur in den amerikanischen Ghettos und damit automatisch politisch und verordnet werden soll er schonmal gar nicht. Lediglich der Wertekanon der Kultur ist das Medium. Analog dazu sieht „Die Urbane“ ihre konkrete Stärke eben nicht im Politikersein, sondern in ihrer direkten Teilhabe an der Gesellschaft durch die HipHop-Kultur. So weit, so gut.

In den USA der 1970er-Jahre hat die HipHop-Kultur Werte wie Repräsentanz, Identifikation, Teilhabe, individuelle Selbstentfaltung, den kreativen Wettstreit und eine machtkritische Perspektive hervorgerufen, die sich nach Meinung der Parteigründer ebenso gut auf einen gesellschaftlichen Kontext in Deutschland übertragen lassen und somit Lösungsansätze liefern. Konkret heißt es, dass das aktuelle Gesellschaftssystem des Konsums und verkommener Wertevorstellungen umgedreht und vor der Selbstzerstörung geschützt werden soll. Jedoch beruft man sich nicht auf verschwörungstheoretische Ansätze, sondern sieht die Ursachen im System selbst. Als Lösungsansatz empfindet die Urbane die Förderung des Individuums im Kampf gegen ein System, nicht gegen andere Individuen, da sie selbst lediglich ein Produkt der Strukturen sind.

Der konsumorientierten Kultur soll eine Kultur der Produzenten gegenübergestellt werden, was auch durch konkreten HipHop-Input an Schulen geschehen kann. So werden Beats bereits im Musikunterricht, Graffiti in Kunst und Breaken in Sport gesehen. Generell ist das Parteiprogramm sehr zeitgemäß und wirkt nicht überholt. Die Macher haben die große Relevanz des Internets verstanden und versuchen in vielerlei Hinsicht Ansätze für die Lösung von Problematiken moderner (urbaner) Gesellschaften vorzulegen. Inwiefern es aber möglich sein wird, dass diese Gesellschaften auch von jahrelang antrainierten Gewohnheiten Abstand nehmen und ein Umdenken per Holzhammermethode erleben, ist fraglich.

Auf den ersten Blick wirkt das Programm der Urbanen sehr fair, menschenfreundlich und nachhaltig, fängt schon bei der Förderung der Nachbarschaft des Individuums an und reicht bis hin zu den „Sustainable development goals“ der Vereinten Nationen. Ich persönlich bin sehr gespannt, ob und wie die Inhalte umgesetzt werden sollen, jedoch herrscht bei mir i.d.R. eine sehr leichte, aber gesunde Grundskepsis gegenüber Quereinsteigern in die Politik, um die es sich hier mutmaßlich handelt. So vermisse ich u.a. auf der Webpräsenz einige öffentliche Hintergrundinfos zu den Personen, die dahinter stehen, werde die Entwicklung der Urbanen aber interessiert verfolgen.

Weiterführende Links:
Webseite
Parteiprogramm